Darmstadt, Raumzeit 2150: Schrauben, Platten, Drähte und Stifte aus medizinischen Hochleistungskunststoffen verlassen geplant einen menschlichen Körper und verschwinden ins Nichts.
Juni 2021: Derzeit findet die Fußball-Europameisterschaft UEFA EURO 2021 in zehn europäischen Städten und in der Hauptstadt Aserbaidschans, in Baku statt. Tolle Spiele sind zu sehen mit packenden Zweikämpfen und spektakulären Toren. Jubelnde und feiernde Menschen füllen die Stadien. Auch Charles R. ist begeisterter Fußballer mit dem Traum, eines Tages auf dem Grün im Stadion zu stehen. Ein Lächeln huscht über das Gesicht des 17-Jährigen, als das 2:1 für Deutschland im Spiel gegen Portugal fällt.
Charles R. spielt in der höchsten Spielklasse im Jugendbereich und darüber hinaus spielt er auch in einem Leistungsnachwuchszentrum eines Bundesligisten. Lächeln kann Charles R. wieder, denn die Heilungschancen seines komplizierten Bruches im rechten Fußgelenk sind sehr gut. Bei einer gut verlaufenden Operation sollte einer vollständigen Genesung nichts im Wege stehen. Die Verletzung zog er sich zu, als er in einem Spiel gegen den Torpfosten prallte.
Dennoch beschäftigt den 17-jährigen ein Artikel aus einer Zeitschrift, in der er las, dass an innovativen Kunststoffimplantaten geforscht wird und sogar eine zweite Operation hinfällig sein könnte.
„Kunststoffe als Implantate im menschlichen Körper, – hält das denn“? fragt sich Charles R.
Neue Innovationskunststoffe als Implantate, die vollständig im Körper abgebaut werden – sind keine Zukunftsmusik!
Kunststoffe im menschlichem Körper und auf einmal nicht mehr da? Das ist nicht reine Science-Fiction aus dem Jahr 2150, sondern schon bald Realität. Medizinisch zugelassene Kunststoffe für Implantate, wie beispielsweise Polylactide (Polymilchsäure Polymer) mit Apatit, werden über die Zeit im Körper restlos abgebaut. Das Mineral fördert darüber hinaus den Heilungsprozess. Die Eigenschaften der beiden Materialien ergänzen sich perfekt. Das Polymer sorgt für die Bioabbaubarkeit: Es wird im Körper komplett zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut, verursacht keine Entzündungsreaktion und ist vollkommen ungiftig. Ein weiterer Pluspunkt: „Wir können die Abbauzeit des Verbundmaterials genau steuern, indem wir Zusammensetzung, Kettenlänge und Kristallisationsgrad der Polymilchsäuren variieren“, sagt Projekthausleiter Balaji Prabhu (Leiter des Projekthaus Medical Devices in Birmingham in USA).
Somit würde für Charles R. eine immer risikobehaftete weitere Operation (Zweitoperation) wegfallen. Derzeit forschen die Wissenschaftler an neuen medizinischen Kunststoffen und blicken positiv in die Zukunft, dass Kunststoffimplantate basierend auf Polymilchsäure und Apatit bald als Implantatmaterial eingesetzt werden können.
Im Falle von Charles R. bedeutet das, dass normalerweise das Implantat aus Metall nach 12-24 Monaten bei einer Folge-OP entfernt werden muss. Zwar haben sich die Metallimplantate in den letzten Jahrzehnten durchaus bewährt und ihre Dienste geleistet, aber es ist auch bekannt, dass Metall eigentlich kein ideales Material für die Versorgung von Brüchen ist.
Warum ist ein Metallimplantat eigentlich weniger gut geeignet als ein Kunststoffimplantat?
Knochen müssen stetig und mechanisch beansprucht werden. Nur so können Nervenbahnen ausgebildet und die Knochendichte erhalten bleiben. Durch die Flexibilität, also das elastische Materialverhalten von Kunststoffen, werden Reize an den Knochen weitergeleitet. Implantate aus Metall absorbieren durch ihre hohe Festigkeit jegliche Beanspruchungen an den Knochen: Das bedeutet, dass eine kontinuierliche Entlastung erfolgt und keine bzw. nur bedingt Reize an den Knochen weitergegeben können. Die Folge kann ein verlangsamter Heilungsprozess oder gar Knochenabbau sein.
Abbildung 1: Schrauben aus einem PLA-Compound [1]
Abbildung 2: Bandscheibenprothesen aus Kunststoff [1]
Charles R. wird nun in zwei Wochen operiert und erhält ein Metallimplantat. „Na klar wäre es super gewesen, wenn eine zweite OP dank neuer Innovationskunststoffe wegfallen würde, aber es dauert noch, bis die Hochleistungskunststoffe für den Dienst am Menschen zur Verfügung stehen. Schade, wäre super gewesen, aber es muss auch so gehen“. Dabei lächelt er im Sprechstundenzimmer des Orthopäden und hält ein 3D-Modell eines Fußgelenkes hoch – na klar, aus Kunststoff, was sonst
Quellen
[2] Plastverarbeiter Online, Dr. Karin Aßmann, Evonik, Hüthig GmbH, 2021]