Der Öko Bio-Reifen! Echt jetzt?
Die Natur - der Mensch - die Technologie
Prof. Dr. Thomas Burkhart
Der Tisch an Rohstoffen, den uns die Natur bietet, ist reich gedeckt. Der Mensch hat die Aufgabe mit der richtigen Technologie diese zu nutzen und nachhaltig zu wirtschaften.
Naturrohstoffe müssen reproduzierbar angebaut, geerntet und verarbeitet werden. Bei Vorliegen des Rohstoffes in Reinstform können dann Prozess – und Verarbeitungstechnologien greifen, die dann aus dem Naturrohstoff einen neuen Werkstoff generieren.
Es ist also die Kombination aus Natur, der Kreativität des Menschen und der von ihm geschaffenen Technologien, die den Wohlstand der Menschheit nachhaltig sichern.
Es sollte ein Miteinander und kein Gegeneinander sein.
Der Reifen ist ein Verbundwerkstoff, in dem die Rohstoffe der Natur schon immer eine Rolle spielen und aufgrund modernster Technologien immer mehr eine Rolle spielen werden.
Der Naturkautschuk ist ein wichtiger Bestandteil des Reifens, den uns die Natur über den sogenannten Kautschukbaum liefert. Pro Kautschukbaum erhalten wir über den Einsatz von entsprechenden Verarbeitungstechnologien 8 g Rohkautschuk/Tag. Auf das Jahr hochgerechnet sind das immerhin 2,92 kg/Jahr.
Im Jahre 2018 verbrauchte allein Deutschland 232.000 Tonnen (USA-Dump IRSG, Rubber Value Chain, Seite 23) an Naturkautschuk d.h. die Natur muss uns 79,5 Millionen Kautschukbäume zur Verfügung stellen!
Wusstest Du, dass Kautschukbäume bis zu 40 Jahre alt werden können?
An diesem Beispiel wird deutlich, dass – wenn man sich aus der Natur bedient – Technologien entwickelt werden müssen, die nachhaltig sind: Angefangen bei Anbau und Zucht der Pflanzen über die Ernte bis hin zu den Verarbeitungstechnologien.
Naturrohstoffe sind sehr kostbar und sie haben es verdient, dass man mit ihnen schonend umgeht.
Es gibt tausende unterschiedliche Reifen für verschiedene Anforderungen in Bezug auf Geschwindigkeitsfreigaben, Rollwiderstandsoptimierung, Zollgrößen und Einsatzzweck.
Abb. 1: Autoreifen
Aber allen gemeinsam ist der Kautschuk, ein Produkt der Natur! Dieses Naturprodukt wird aus dem Milchsaft von Kautschukpflanzen gewonnen. Die wohl bekannteste ist der Kautschukbaum, der vor allem in Südostasien und in Mittel- und Südamerika, insbesondere rund um den Äquator in Ländern wie Indonesien, Malaysia und Thailand wächst. Dieser Milchsaft – auch Latex genannt – ist die „Wundsalbe“ für die sogenannten Kautschukbäume (Hevea Brasiliensis).
Abb. 2: Gummigewinnung aus dem Milchsaft von Kautschukpflanzen
Der Naturkautschuk ist eine elastische, wasserunlösliche, klebrige Substanz, die mit Luftsauerstoff im Laufe der Zeit feste Verbindungen bildet und damit pflanzliche Wunden verschließt.
Der Latex besteht zu 33% aus Naturkautschuk, 60-65% Wasser und der Rest sind Proteine, Harze, Zucker und Mineralstoffe. (D.C. Blackley: Polymer Latices Vol. 2, Kap.9, p.78ff, Chapman&Hall 1997).
Um den Kautschuk in Reinstform zu erhalten, muss dieser sauer gefällt und getrocknet werden.
Die Menschen haben, wie im Brockhaus nachzulesen ist, den Kautschuk zuerst in Amerika entdeckt und zu Bällen, Schuhen, Flaschen, Schläuchen und anderen nützlichen Dingen verarbeitet. Es wird berichtet, dass Hernán Cortés als er Mexiko eroberte, dort auf Kaugummi kauende Azteken traf. In Europa hat man den Kautschuk anfänglich als Radiergummi und zur Imprägnierung von Regenmänteln eingesetzt.
Erst nachdem Charles Goodyear 1839 entdeckt hatte, dass sich die Materialeigenschaften des Kautschuks durch das Erhitzen mit Schwefel (Vulkanisieren) erheblich verbessern lassen, begann der weltweite Siegeszug dieses einzigartigen Rohstoffs.
Und heute lässt sich dieser Rohstoff überhaupt nicht mehr aus der Welt der Technik wegdenken und wird zusammen mit anderen Mischungsbestandteilen wie z.B. Ruße und Silica als aktive Füllstoffe sowie Stahl- und Nyloncord als Festigkeitsträger zur Reifenherstellung eingesetzt.
Warum verwendet die Industrie ausgerechnet Naturkautschuk oder allgemein gesagt Produkte aus der Natur?
Diese Frage ist berechtigt; schon im Jahre 1909 gab es das erste Patent auf synthetischen Kautschuk und beginnend mit den 30 er Jahren des letzten Jahrtausends kamen immer neue Kautschukpatente hinzu. Und natürlich konnte man im 20 Jahrhundert die chemische Struktur des Naturkautschuks, das Isopren, identifizieren und im Labor nachbauen.
Aber anscheinend doch nicht zu 100%!
Die Natur ist einfach unschlagbar. Zugegeben, die Natur hatte ja auch Millionen von Jahren Zeit. Deshalb ist es immer interessant und lohnenswert die Natur zu beobachten, aus der Natur zu lernen und das Beste für sich zu nutzen, um der Menschheit das Leben einfacher zu machen.
Heute – weil es ja en vogue ist – spricht jeder von Nachhaltigkeit. Diese Nachhaltigkeit ist in der Kunststoffindustrie seit Jahrzehnten das Thema schlechthin.Man wäre ja blöd, wenn man auf Millionen Jahre alte Erfahrungen und Rezepte verzichten würde. Und gerade am Beispiel von Naturkautschuk lässt sich das Ganze wieder einmal bestätigen.
Im Gegensatz zu dem synthetischen „Naturkautschuk“ liefert der Naturkautschuk besonders feste und elastische Produkte. Ein Hoch auf die Natur!
Der Naturkautschuk ist somit ein wichtiger Rohstoff für Elastomerprodukte wie z.B. für Fahrzeugreifen. Etwa 10 bis 30 Prozent eines Pkw-Pneus bestehen aus diesem Naturprodukt, bei einem Lkw-Reifen liegt der Anteil noch höher.
Rund um die Reifenzusammensetzung gibt es viele Rohstoffe bzw. technische Prozesse bei welchen man sich aus der Natur bedient und somit der Nachhaltigkeit dient.
Hier ein paar ausgewählte Beispiele:
1.) Naturkautschuk: „Natur ersetzt Natur“
Aufgrund der wachsenden Bevölkerung und der weiter zunehmenden Motorisierung inkl. Elektromobilität, dürfte der weltweite Bedarf an Kautschuk weiter steigen. Darum suchen die Reifenhersteller schon seit einigen Jahren bzw. Jahrzehnten nach Alternativen. Diese sollten zum einen nachhaltig, also nachwachsend sein, zum anderen aber auch kostengünstig. Natürlich wollen die Reifenhersteller zugleich ihre Abhängigkeit von den Kautschuk-Produzenten in Südostasien minimieren und somit auch von schwer kalkulierbaren Preisschwankungen.
- 1a.) Naturkautschuk aus dem Guayule-Strauch, einer mexikanischen Gummipflanze
Seit dem Jahre 2013 arbeitet die Fa. Bridgestone daran, Naturkautschuk aus dem Guayule-Strauch, der in den Wüstengebieten Mexikos sowie in den US-Bundesstaaten Texas und New Mexico beheimatet ist, zu gewinnen. Der begehrte Latexsaft steckt in den Wurzeln und Stängeln der Pflanze. Der daraus gewonnene Naturkautschuk wird in der Lauffläche und in den Seitenwänden von Pkw-Reifen eingesetzt. Der Guayule-Strauch benötigt nur wenig Wasser. Sein Lebensraum ist für andere Pflanzen nicht geeignet und somit besteht keine Konkurrenz zu Nahrungspflanzen. (https://www.pressebox.de/pressemitteilung/bridgestone-deutschland-gmbh/Durchbruch-Bridgestone-produziert-ersten-Reifen-aus-Guayule-Naturkautschuk/boxid/759796)
Da der Guayule-Latex keine Allergien auslöst, wird er bereits zur Produktion von Gummihandschuhen genutzt. Versuche, die Pflanze als alternativen Kautschuk-Lieferanten zu nutzen, gab es schon im Zweiten Weltkrieg. Doch nun machen moderne Anbau- und Verarbeitungstechnologien die industrielle Nutzung effizienter und erst jetzt langsam nutzbar. Das Ziel ist es jetzt, die großflächige Vermehrung von Guayule-Pflanzen aus hochwertigem Saatgut zu ermöglichen. Erst die schnelle einwandfreie Reproduktion dieser Pflanzen, ermöglicht es, den hohen Bedarf an Kautschuk zu decken. Bridgestone rechnet damit, ab 2022 die ersten Serienreifen mit Guayule auf den Markt zu bringen und bis ins Jahr 2050 sollen alle Bridgestone Reifen ausschließlich aus nachhaltigen Rohstoffen produziert werden.
- 1b.) Naturkautschuk aus Löwenzahn
Für die Fa. Continental soll die Wurzel des russischen Löwenzahns, einem Unkraut bzw. Karnickelfutter, als Latexlieferant und somit Kautschuk-Lieferant dienen. Auch hier muss die Pflanze mittels Biotechnologie weitergezüchtet werden, um im Vergleich zu dem tropischen Kautschukbaum einen ähnlich hohen Ertrag zu generieren. Zudem sind neue Prozess- und Produktionsmethoden entwickelt worden, um aus dem Latexsaft der Pflanzenwurzel den Naturkautschuk zu gewinnen, der zur Produktion von Reifen und anderen Gummiartikeln erforderlich ist.
Abb. 3: Löwenzahn
Da die Pflanze auch in Nord- und Westeuropa angebaut werden kann, können lange Transportwege im Vergleich zu Südostasien deutlich reduziert und so nachhaltiger und sozial verträglicher mit den vorhandenen Ressourcen umgegangen werden. Im Jahre 2018 hat die Fa. Continental ein Forschungs- und Versuchslabor für Löwenzahnkautschuk in Anklam, Deutschland, eröffnet. Geplant ist, Kautschuk aus Löwenzahn binnen zehn Jahren in der Serienproduktion einzusetzen bzw. einen wachsenden Teil des Naturkautschukbedarfs aus der Löwenzahnpflanze zu gewinnen. (Continental Geschäftsbericht 2018)
2.) Raps – und Sonnenblumenöl: Die „Naturweichmacher“ für den Reifen
Schon seit Jahren versuchen die Reifenhersteller die jeweiligen Mischungsbestandteile des Reifens, die zurzeit noch über die industrielle Synthese hergestellt werden müssen, über die Natur zu gewinnen. Dementsprechend experimentieren Michelin, Dunlop und Yokohama mit Sonnenblumen-, Raps- und Orangenöl. Zum Teil werden sie schon heute in der Reifenproduktion verwendet, um unter anderem die Kohlenwasserstoffe im Reifen weiter zu reduzieren und um die Arbeitstemperatur eines Reifens zu optimieren. Des Weiteren haben Versuche bei Goodyear – Dunlop gezeigt, dass Sojabohnenöl die Laufleistung von Reifen steigern kann. Continental ist davon überzeugt, dass Rapsöl zukünftig erdölbasierte Rohstoffe, die beim Reifen eingesetzt werden, substituiert. (https://www.poel-tec.com/tipps_und_tricks/reifenkonzepte.php). Heute wir schon Rapsöl in Laufflächenmischungen eingesetzt, da das Rapsöl den Reifen besonders geschmeidig macht.
3.) Die Zukunft liegt in der Schale des Reiskorns: rice husk
Kieselsäure (Silica) ist ein aktiver Füllstoff, der seit den 90iger Jahren im Reifen in Kombination mit Ruß eingesetzt wird, um den Rollwiderstand und somit den Benzinverbrauch zu reduzieren. In den 90iger Jahren wurde diese Technologie als „grüner Reifen“ gefeiert. Die Herstellung von Silica ist jedoch aufgrund der Verwendung von Quarzsand als Ausgangsrohstoff sehr energieintensiv und somit hält man Ausschau nach alternativen Rohstoffen, um Silica zu produzieren.
In diesem Zusammenhang arbeiten Dunlop und Pirelli an der Verwendung von rice hulls als Ersatzstoff. Die Fa. Goodyear setzt schon seit Jahren Reisschalen ein. Weltweit werden jährlich 700 Millionen Tonnen Reis geerntet, wobei die nach dem Mahlvorgang übrigbleibenden Hülsen jetzt sozusagen als Abfallprodukt über den Verbrennungsvorgang zu Silica umgewandelt werden. (https://reifenpresse.de/2020/11/11/verdopplung-der-nutzung-aus-reisabfaellen-gewonnen-silicas-bei-goodyear/). Aufgrund der riesigen Mengen an Reisschalenabfall sind natürlich auch andere Anwendungen in der Erforschung bzw. auch schon im Einsatz.
So gibt es z.B. bereits Produkte der nonwoven-Industrie wie z.B. Kunststoffvliese, in dem die Reisschalen als Streckmittel eingesetzt werden, um somit den Anteil an Kunststoffen auf Erdölbasis zu reduzieren. Solche Vliese können z.B. in der Produktion von Corona-Schutzmasken eingesetzt werden.
4.) Nachhaltigkeit über Produktlanglebigkeit am Beispiel vom Reifen
Bisher haben wir die Rohstoffe aus der Natur eingesetzt, um damit in den jeweiligen Reifenrezepturen, synthetische Rohstoffe zu ersetzten. Nachhaltigkeit ergibt sich aber auch dadurch, dass Produkte von der Konstruktion, dem Design und der Rohstoffzusammensetzung her langlebiger gestaltet werden. Diesem Prinzip folgt die Fa. Michelin über die Kombination einer neuartigen, mehrlagigen Multi-Layer-Gummimischung und einem selbsterneuernden Profil. Über diese Konstruktion wird es ermöglicht, dass auch bei geringer Restprofiltiefe ein außergewöhnliches Beschleunigungs- und Bremsvermögen sowie Traktion auf Schnee gewährleistet werden kann. Der Reifenwechsel kann somit zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen; der Reifenwechsel kann also warten. (https://www.gummibereifung.de/michelin-zeigt-selfseal-technologie)
Auch die Fa. Bridgestone beschäftigt sich mit der Langlebigkeit von Produkten. So wurde z.B. für das neue E-Auto BMW i3s ein besonders schmaler und großer Reifen – auf 20 Zoll Felgen montiert – mit einem neuen Laufflächenprofil designt, womit eine bessere Aerodynamik und ein geringerer Rollwiderstand realisiert werden konnte. Das Ergebnis: Mehr Langlebigkeit, weniger Spritverbrauch. (https://www.bridgestone.ch/de/tyre-talk/article/bridgestone-schaltet-mit-der-ologic-technologie-in-den-sportmodus/
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